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Kano Analyse

Die Kano Analyse (Kano et al. 1984) ist ein Methode die immer wieder in den verschiedensten Büchern (Softwareentwicklung, Requirements Engineering, Dienstleistungsforschung, etc.) erwähnt wird als bewährtes Werkzeug um Kundenbedürfnisse zu erfassen. Vielleicht sollte ich hier präzisier sein: Um die Stimme des Kunde (voice of the customer) auzuwerten.

Natürlich gibt es da noch das sogenannte Quality Function Deployment (QFD) von Akao Yoji (1990) das auch als Werkzeug zu Analyse der „Stimme des Kundens“ angeführt wird, aber für mich persönlich ist die Komplexität des Houses of Quality zu groß und es fällt daher als „lean tool“ bzw. „agile tool“ aus meinem Werkzeugkoffer (vielleicht behirne ich das QFD ja mal und dann kommt es wieder auf meine Liste).

Leider haben diese Bücher über die Kano Methode, zumindest im Rahmen meiner Wahrnehmung, eines gemeinsam: Der Hintergrund ist meist sehr vage beschrieben, es gibt selten Handlungsanweisungen, wie man diese Methode anwendet und es wird immer wieder das gleiche Bild (Abbildung 1) gezeigt, das für mich sehr verwirrend ist/war:

 Abbildung 1: „Two-dimensional recognition method“ mit zeitlichen Einflussvektor
In Anlehnung an (Kano et al. 1984, S.170)

Also, da ich mit dieser Abbildung Schwierigkeiten hatte im Verständnis, habe ich Hr. Kano in einer Email um das Originalpaper „angeschnorrt“ und auch prompt bekommen (Danke dafür nochmals!).

Und da hat sich dann für mich ein anderes Bild ergeben, und daher möchte ich hier die wichtigsten Aspekte des Papers anführen (Kano et al. 1984):

Kano hat mit seinen Kollegen folgendes untersucht, nämlich wie

  • die Korrelation zwischen objektiver Qualität (gemessen Mittels quantitativer Meßmethode) und subjektiver Qualität (klassische Nutzer-, bzw. Kundenzufriedenheitsanalyse)

und

  • die Korrelation zwischen dem Gefühl der Zufriedenheit für das Produkt als Ganzes und Teilen der Produktqualität

sich aufeinander auswirken.

Also das habe ich nun wieder sehr spannend gefunden: Quantitative Aspekte mit qualitativen Aspekten in Korrelation zu bringen – quasi „Clash of Cultures“, wenn ich an die klassische PaaV (Performance as a Variable) Quantifizierer denke und an qualitative Forschungsansätze wie z.B. der Grounded Theory von Glaser und Strauss. Ausserdem zieht Kano et al. hier Überlegungen über menschliches Verhalten von Klassikern wie Herzberg (Motivationstheorie) und Superklassikern wie John Locke (1690) und Aristoteles in das Qualitätstool hinein.

In der Abbildung 2 ist einiges aus den Überlegungen deutlicher zu erkennen.

 Abbildung 2: One-dimensional recognition method
In Anlehnung an (Kano et al. 1984)

Ja, und jetzt ist die Abbildung 1 wieder ein wenig klarer für mich geworden: Auf der Y-Achse wird der qualitative Aspekt und auf der x-Achse der quantitative Aspekt der Untersuchung aufgetragen. So weit, so gut.

Leider immer noch zu wenig für mich um zu behirnen, wie man da nun mit dem Werkzeug arbeiten kann. Aber der Ansatz ist für mich als Bauch-Hirn lebender Mensch (quasi „ganzheitlich“) schon ein sehr natürlicher Ansatz und er fühlt sich für mich gut an.

In Folge geht Kano et al. auch noch auf mögliche Ergebnisse der Kano Methode ein. Unterteilt wird in (Kano et al. 1984):

  1. Attractive quality elements
  2. One dimensional quality elements
  3. Must-be quality elements
  4. Indifferent quality elements
  5. Reverse quality elements
  6. skeptical evaluation

Das heißt, auf Basis der Befragung ergibt sich nach der Auswertung ein „Bild“ über die Wahrnehmung eines Attributs (Elements) eines Produkts. Wenn z.B. ein Wecker auf seine eingebauten Funktionen hin untersucht wird, dann können diese Funktionen (z.B. sanftes Wecken durch Musikeinspielung) einzeln auf die oben angeführten Ausprägungen untersucht werden. Das kann aus meiner Sicht auch auf Dienstleistungen übertragen werden, denn auch hier hat man Elemente, die ein Gesamtleistungspaket für den Kunden ergeben. In einem weiteren Schritt (der Brite würde wohl „bold step“ dazu sagen) behaupte ich, dass wir hier die Elemente einer Value Proposition eines Geschäftsmodells abklopfen können hinsichtlich ihrer Wahrnehmung (perception) beim Kunden. Also haben wir ein nettes Tool (wieder der Brite: „nifty tool“ :-)) um im Business Model Canvas von Osterwalder und Pigneur Elemente der Value Proposition abzuchecken. Und das ist dann schon mal eine coole und nette Sache.

 Zur Interpretation der Elemente nun eine kleine Erklärung:

Elemente wie “Attractive quality“, „One dimensional quality“ bzw. „Must-be Quality“ werden im Paper von Kano et al. als die gängigen Kriterien angesehen.

Die Sache mit den „Indifferent quality elements“ sowie „Reverse quality elements“ schaut schon ein wenig anders aus:

  • Indifferent quality elements“ sind Elemente, die weder zu einer Zufriedenheit noch zu einer Unzufriedenheit beim Kunden führen wenn sie erfüllt oder nicht erfüllt sind. Also auf gut österreichisch: Das ist dem Kunden quasi „wurscht“ ob das erfüllt oder nicht erfüllt ist.
    Es kann aber angemerkt werden, dass in einer weiteren Untersuchung dieses Qualitätselements so interpretiert werden kann: Alle Elemente, die irgendwann zu einem Attractive Quality Element werden befinden sich zuerst in diesem seltsam unbestimmten Zustand.
    Also: Zuerst war das Ding noch nicht so cool, dann kommt einer lässiger Typ daher und erklärt, dass das Ding doch super ist, und plötzlich finden es alle wirklich super – klingt ein wenig nach Apple IPAD und Steve Jobs.
  • Reverse quality elements“ sind sehr seltsame Qualitätselemente: Wenn sie erfüllt sind, führen sie zur Unzufriedenheit, wenn sie nicht erfüllt sind führen sie zur Zufriedenheit des Kunden.
    Klingt für mich nach einer Anleitung für Schwiegermütter um die Schiwegersöhne/-töchter fertigmachen können (Buchtipps in diesem Zusammenhang: How to become a Jewish Mother oder auch das legendäre Catch22 von Joseph Heller über die seltsame Logik von Militärorganisationen am Beispiel der US Airforce im WW2).
  • Skeptical evaluation ist sehr schwer auszuwerten. Möglich, dass Frage nicht verstanden wurde (sowas kommt vor!). Möglich Ursache: Durch komplexe Fragestellung oder schlechte Formulierung der Frage möglich.

Aber zurück zu den klassischen flotten dreier, der immer wieder auch in den oben erwähnten Literaturbereich vorkommt:

Must-be quality elements (auch Grundanforderungen bzw. „expected requirements“) sind für den Kunden so selbstverständlich, dass der Kunde über das vorhanden sein bzw. nicht vorhanden sein nicht mehr nachdenkt.
Bsp.: Airbag – ich persönlich denke beim Neuautokauf (nicht Oldtimer) über dieses Sicherheitsservice nicht mehr nach, bzw. würde es ein wenig seltsam finden, wenn der Verkaufer darauf hinweist, dass die Karre einen Airbag hat. Aber ich wäre echt angep*****, wenn ich nach einem Kauf herausfinde, dass ich keinen Airbag habe und ich in einer Selbstmordmaschine durch die Gegend cruise.
(Allerding hatte ich einmal so eine ähnliche krasse Situation, wo mir ein VW Verkäufer stolz erklärte: „Und der Golf hat auch elektrische Fensterheber vorne…“ und ich dachte mir „WTF????“, das ist ja ein „Wahnsinnsluxusausstattung“.)
An Basisanforderungen herumzuverbessern scheint mir nicht lohnenswert. Aber sie zu vergessen ist sicher nicht ratenswert.

One dimensional quality (auch oftmals Leistungsanforderungen bzw.„normal requirements“) sind grundlegende Anforderungen, die wiederum zu massiver Verunstimmung beim Kunden führt, wenn sie nicht erfüllt werden. Im Unterschied zu den Must-be quality elements führt die Erfüllung zur Zufriedenheit (und wollen wir nicht alle zufrieden sein? :-)).
Bezogen auf  die oben beschriebene Karre: Wenn ich mir ein kleines und billiges Auto (quasi „Spuckerl“) kaufen  möchte, weil ich knapp bei Kasse bin (was ja auch stimmt) ist ein geringer Benzingverbrauch im Gesamtkontext gesehen für mich eine Leistungsanforderung. Keine Freude hätte ich mit der Tatsache: „Ist ein günstiges Angebot! Kostet nur 5000 € neu, hat kaum PS, aber schluckt 15 Liter auf 100 km.“

Attractive quality (auch Schrittmachermerkmale, Begeisterungsmerkmale oder „delightful requirements“) sind latent vorhandene Anforderungen, die ein Kunde nicht einmal beschreiben kann. Also: Wenn das Element nicht vorhanden ist, stört es den Kunden nicht, weil es ja überhaupt nicht vermutet wird. Ist so ein Element aber da, dann führt es zu „Extase/Rausch und überwältigenden Freudereaktionen“.

 Genug der Theorie: Wie schaut das nun konkret mit der Methode aus?

Und da greifen Kano et al. auf einen coolen Ansatz zurück – Ein Qualitätselement wird doppelt bewertet durch den potentiellen Kunden:
Einmal durch eine funktionale und dann durch eine dysfunktionale Frageform. Verwirrend? Hier ein Beispiel:

Qualitätselement: Sanftes Wecken durch einen Wecker mittels hellerwerdendes Licht

Funktionale Frageform:
Was würdest Du empfinden, wenn Dein Wecker die Fähigkeit hat, Dich in der Früh sanft durch langsames hellerwerdendes Licht zu wecken?

Dysfunktionale Frageform:
Was würdest Du empfinden, wenn Dein Wecker die Fähigkeit nicht hat, Dich in der Früh sanft durch langsames hellerwerdendes Licht zu wecken?

 Man beachte: Quantitativ wird das vorhanden bzw. nicht vorhanden sein eines Elements abgefragt und qualitativ wird der Aspekt des „wie würdest Du Dich fühlen“ eingebracht.

Antwortmöglichkeiten jeweils (Kano et al. 1984):

  • like
  • acceptable
  • no feeling
  • must-be
  • do not like
  • other

 Und die Antwortausprägung wird dann in einer Matrix (von Kano et al.) eingetragen und hinaufgezählt. Schlussendlich kann die Matrix dann wie in Abbildung 3 (Danke an Kollegen Rene Millautz, der das so nett gezeichnet hat) aussehen:

  Abbildung 3: Auswertematrix
In Anlehnung an (Kano et al. 1984)

Also: Bezugnehmen auf unsere obere Fragestellung würde das so aussehen (unter Annahme, dass ich selbst antworte auf die Fragen):

Qualitätselement: Sanftes Wecken durch einen Wecker mittels hellerwerdendes Licht

Funktionale Frageform:
Was würdest Du empfinden, wenn Dein Wecker die Fähigkeit hat, Dich in der Früh sanft durch langsames hellerwerdendes Licht zu wecken?

  • like X
  • acceptable
  • no feeling
  • must-be
  • do not like
  • other

Dysfunktionale Frageform:
Was würdest Du empfinden, wenn Dein Wecker die Fähigkeit nicht hat, Dich in der Früh sanft durch langsames hellerwerdendes Licht zu wecken?

  • like
  • acceptable
  • no feeling X
  • must-be
  • do not like
  • other

Auswertung:
Man fährt die Zeile „LIKE“ in der funktionalen Antwortsspalte horizontal entlang und bleibt im Bereich „NO FEELING“ im Bereich der dysfunktionalen Ebene stehen. Dort wird ein Zähler+1 gesetzt.

Erkenntnis:
Das abgefragte Element ist also ein ATTRACTIVE ELEMENT.

Da N=1 recht einseitig ist, sollte man die üblichen Aspekte der Befragung beachten und ein gutes Sample zusammenbekommen.

Fazit:
So einfach funktioniert das Herauskitzeln der „Stimme des Kunden“ bezugnehmend auf Elemente eines Produkts/einer Dienstleistung nach Kano et al.
Natürlich gibt es im Umfeld der Methode entsprechende wissenschaftliche Literatur, welche die Methode einerseits würdigt andererseit in den Boden stampft und als wirkungslos darstellt.

Jeder muss selbst bestimmen, wie man in der schon fast unübersichtlichen Vielfalt an Methoden die für den Anlassfall wirksamste Methode findet. Wir haben die Methode mehrmals eingesetzt und als wirksam wahrgenommen.

Co-Creation Aufruf! für neugierige Menschen

Da das Durchführen der Kano Methode mittels Bleistift und Papier für einen ITler unwürdig ist, haben ich mit einem Kollegen einen webbasierter Prototypen der Umfrage erstellt. Der wird nun von zwei bezaubernden Damen (quasi: Code poets) verbessert und aufmotzt. Dazu suchen wir TesterInnen die sich mit uns herumplagen wollen um das webbasiert Kanotool zu einem brauchbaren, agilen Werkzeug zu machen. Bei Interesse bitte eine flotte Email an mich!
WIITFY (what’s in it for you?): Du bist dabei beim „Open source stellen“ eines tollen Tools mit dem man Kundenbedürfnisse erheben kann!

PS: Achja: Sollte ich hier absoluten crap zusammengefasst haben, dann freue ich mich auf die Rückmeldung von Kano-Experten die ich dann gerne in den Artikel einbringe.

Quellen:

Akao, Yoji (1990): Quality function deployment – Integrating customer requirements into product design; Productivity Press: New York

Kano, Noriaki; Seraku, Nobuhiko; Takahshi, Fumio; Tsuji, Shinichi (1984): Attractive Quality and Must-Be Quality; International Academy for Quality; IAQ Book Series Vol. 7, pp. 165-186 – Englische Übersetzung des Artikels aus: Quality, The Journal of the Japanese Society for Quality Control, Vol. 14, No. 2, pp. 39-48

Business Model Canvas (2011): Online im Internet http://www.businessmodelgeneration.com/canvas

Autor: Helmut Aschbacher | 28. Oktober 2011

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