Dienstleistung entwickelt man nicht, man lebt sie

Service Engineering hat folgende Definition: „Service Engineering can be understood as a technical discipline concerned with the systematic development and design of services using suitable procedures, methods and tools.“ [Bullinger et al. 2003, S. 276]
Hier schlägt das TechnikerInnenherz natürlich höher: Wie kann es auch anders sein, als sich irgendeinem Thema NICHT von der ingenieurstechnischen Seite her zu nähern. Messen was meßbar ist und was nicht meßbar ist soweit in quantifizierbare Teile zerlegen, bis man mit einer ISO Größe bestimmen kann, womit man es zu tun hat.

Jetzt gibt es auf der anderen Seite eine weitere Disziplin in der Umwelt der Dienstleistungsentwicklung: Das Service Design. Pfui, wird sich so mancher Naturwissenschafter denken, denn „Design“ ist ja per  Definition nichts wirklich technisches.
Schlimmer noch! Wenn man im klassischen Wikipedia nachschlägt bekommt man folgende (für Techniker magengeschwürauslösende) Definition:
„Anders als bei eindeutigen Wissenschaften wie etwa der Mathematik kann die Perspektive, das Tätigkeitsfeld oder die „Disziplin“ Design nicht auf einen allgemein anerkannten Nenner gebracht werden.“ [Wikipedia 2010]

Wie reagiert die Technikercommunity auf die Herausfoderung „DESIGN“?
Richtig geraten: Die Ingenieurswelt hat das Usability Engineering erfunden um Design Aspekte ingenieurstechnisch zu messen und die Bedienbarkeit eines Elements -Website, Fernbedienung, Klobrille, etc.- zu beweisen/widerlegen.

Aber das stört die Service Designer nicht, denn sie sprechen auch von Prozessen und Werkzeugen, die sie verwenden, kümmern sich aber primär um die NICHT-meßbaren Aspekte einer Dienstleistung: Wie FÜHLT sich der Kunde/die Kundin wenn dieses oder jenes eintritt  und was kann ein Service dazu beitragen damit ein Gefühl bewußt erzeugt oder verhindert wird. 

Zurecht fragt man sich: Und wie bitte passt das in meinen sauber ausformulierten Prozess? Was soll das „weiche“ Gefühlsherumeiern?

Dennoch schaffen die Service Designer unglaubliche Service Innovationen im Technikumfeld aber auch im sozialen Umfeld. Beispielgebend hier sei Mary Rose Cook von uscreates Ltd. erwähnt, die als Service Designerin für das britische Gesundheitswesen Dienstleistungen entwickelt die Menschen tatsächlich gesünder macht/hält (siehe den Beitrag „Chlamydia Screening„).

Ich habe Mary zu einer Gastvorlesung im letzten Semester (SS 2010) eingeladen und es war ein klassischer Kulturschock (nicht nur das Kernöl für Mary) vor allem weil die KollegenInnen im IWI Bachelorstudium auf eine Person getroffen sind die von „involvement“ und „emotions of customer“ gesprochen hat.

Vielleicht liegt hier aber auch der wesentliche Kulturunterschied. Ich liebe das Beispiel wie der (für mich geniale) Scott Adams einen Test zur Identifikation von Ingenieuren in einem Raum aufzeigt:
„Sie betreten ein Zimmer und bemerken, dass ein Bild schief an der Wand hängt. Sie…
A. hängen es gerade.
B. ignorieren es.
C. kaufen ein CAD-System und verbringen das nächste halbe Jahr damit, einen solar betriebenen, sich selbst justierenden Bilderrahmen zu entwickeln und nutzen jede Gelegenheit, um lautstark zu verkünden, der Erfinder des Nagels sei ein Vollidiot gewesen.“ [Adams 1997, S. 176f]

Prüfen wir (TechnikerInnen) uns also selbst: Machen wir den Prozessablauf um des Prozesses Willen zum wichtigsten Aspekt und machen die Augen zu für den eigentlichen, darüberliegenden, Steuerungsprozess den man „Close to customer“ nennen könnte?

„Close to customer“, leider kein Begriff von mir erfunden (schön wärs) sondern von den sehr lesenswerten US Burschen Thomas J. PETERS und Robert H. WATERMAN (wir erinnern uns: Das waren u.a. die Burschen die uns das 7-S Modell geschenkt haben!) ins Spiel gebracht bringen es in ihrem Standardwerk für alle Managementinteressierten auf den Punkt:
„[…] the customer is either ignored or considered a bloody nuisance.“ [Peters und Waterman 1982, S.156]

Den Kunden als „Ärgerlichkeit“ abzutun ist sehr ehrlich und sehr mutig. Kunden werden kategorisiert (A – B – C und miese Kunden die nicht zahlen) und segmentiert. Dann werden sie identifiziert und mit Maßnahmen bearbeitet. Für mich als Reserve-Offizier hat das was von: „Wir ziehen in eine Schlacht“. Die Klinge ist in der Businesswelt vielleicht feiner, aber Kollateralschäden sind vorprogrammiert.

Was tun? Wie in der Überschrift provokativ angeführt, kommt man daran nicht vorbei: Dienstleistung entwickelt man nicht, man lebt sie.
Und das ist auch der für TechnikerInnen über dem Managementprozess liegende notwendige und wichtige Meta-Prozess (der normative Prozess, wenn ich es so bezeichnen darf):
Lebe deine Dienstleistungsorientierung, fühle sie und sei dabei ehrlich.

Ob das  funktioniert? Hier ein paar Beispiele aus der Literatur (vielleicht aber hat der eine oder die andere von Euch schon so einen fanatischen Serviceansatz selbst erlebt – dann bitte posten!) [Peters und Waterman 1982, S.158ff]:
Der Autoverkäufer Joe, der eine Service Obsession lebt und somit doppelt soviele Autos verkauft als jeder andere Autoverkäufer in den U.S. Er sendet seinen Kunden jedes Monat eine Grußkarte (13.000/Monat!) um mit Ihnen in Kontakt zu bleiben. Und er zeigt Empathie, Anteilnahme und hat ein klares Bild wie wichtig Emotionen für den Kunden sind: „[…] when I sell a car, my customer’s gonna leave with the same feeling that he’ll get when he walks out of a great restaurant.“ (S.158) 
Wie schaut es in der Tecnology World aus? Hierzu IBM: „[…] IBM is fanatic about its service beliefs.“ (S.159) 
Oder ein anderes Beispiel, das in unserer österreichischen Kultur (so meine persönliche Einschätzung) zu kopfschütteln führen würde: In ihrem Megaseller „Built to last“ beschreiben Jim COLLINS und Jerry PORRAS wie Unternehmen sich deutlich vom Mitbewerb abheben können. Die U.S. Warenhauskette Nordstrom hat eine ‚Cult-Like“ Culture in Bezug auf die Service-Orientierung: Dort halten Angestellte ihren Kunden das Auto im Winter warm  in dem Sie sich in das Auto setzen und um den Block damit fahren, Kleidungsstücke – auch wenn nicht bei Nordstrom gekauft – werden gerne gebügelt und es wird berichtet, dass ein Nordstromangestellter sogar einen Umtausch eines Kleidungsstückes vorgenommen hat, obwohl das Kleidungsstück nicht im Unternehmen gekauft wurde. [Collins und Porras 1994]

Ist das verrückt? Wahrscheinlich. Aber das ist eine Unternehmenskultur die keinen Zweifel daran läßt, wer für die Brötchen (Semmerln) und die Butter verantwortlich ist:
Nämlich der Kunde, und nur er/sie und was er/sie denken und wie er/sie sich fühlt.
Es liegt mir hier fern für eine Firma Werbung zu machen, aber hier ein persönlicher positiver Erfahrungsbericht: Als ich vor geraumer Zeit einen Smart bei einem Mercedeshändler meines Vertrauens gekauft habe, wurde ich beim Abholen des Autos empfangen, als hätte ich eine ganze Flotte Mercedes G oder ähnliches teures Gerät gekauft: Blumen für die Gemahlin, Imbiss, Auto im Übergaberaum mit Tuch verdeckt usw…Das haftet im Gedächnis, macht tolerant gegenüber Holprigkeiten im Kaufprozess.

Das ist: Sticky – Etwas was man nicht unterschätzen darf.

Langer Rede (blogs) kurzer Sinn:
Service Engineering ist eine großartige Disziplin mit vielen Qualitätsansprüchen im Bereich der Prozesse, Methoden und Werkzeuge die eingesetzt werden.
Eines dürfen wir als TechnikerInnen allerdings nie vergessen: Solange eine Dienstleistungskultur im Unternehmen/in der Organisation in der wir leben und werken/wirken nicht gegeben ist, wird  jeder Prozess scheitern.

Oder um die einfache Metapher von Scott Adams ein wenig zu adaptieren: Das Bild über die Dienstleitungsfähigkeit zuerst einfach gerade rücken, dann kann man loslegen mit allen Methoden und Werkzeugen zur Entwicklung die einem Techniker/einer Technikerin Spass und Freude machen. 

Wie man nun eine Unternehmenskultur ändern kann? Darüber plaudere ich beim nächsten Blog.. 🙂

Quellen:

Adams 1997:
Scott Adam (1997): Das Dilbert Prinzip: die endgültige Wahrheit über Chefs, Konferenzen und andere Martyrien; verlag moderne industrie; Landsberg/Lech

Bullinger et al. 2003:
Bullinger, Hans-Jörg; Fähnrich, Klaus-Peter; Meiren, Thomas (2003): Service Engineering – Methodical Development of New Service Products, Int. J. Production Economics Nr. 85 p.275–287

Collins und Porras:
Jim Collins, Jerry I. Porras (1994): Built to Last: Successful Habits of Visionary Companies (Harper Business Essentials); HarperBusiness Essentials, NY

Peters und Waterman 1982:
Thomas J.Peters; Robert H. Waterman, Jr. (1982): In search of excellence: Lessons from America’s best-run companies; HarperCollins; NY

Uscreates Ltd.:
Online im Internet unter http://www.uscreates.com

Wikipedia 2010:
Online im Internet, URL:  http://de.wikipedia.org/wiki/Design (Abruf am 12.9.2010)

Weiterführende Links zu Service Design:

Prof. Birgit Mager (Service Designerin die in Köln wirkt):
http://www.service-design.de
http://www.service-design-network.org/
Persönliche Anmerkung: Ich habe Fr. Prof. Mager auf einer Konferenz erlebt und war schwer begeistert von den Ansätzen und Überzeugungen die sie lebt und in ihren Methoden umsetzt.

Hier kann man die (teilw. „nicht-technischen“) Werkzeuge nachlesen mit denen die Service Design Community arbeitet, wirklich großartige Methoden:
http://www.servicedesigntools.org/

Live|work – eine britische Firma die sich ebenso auf Serviceentwicklung spezialisiert hat. Arbeitsort: Weltweit. Nebenbei arbeitet Live|Work auch für die U.N.O.
http://www.servicedesign.org

Die enginegroup ist ebenso eine große  Firma im Service Design Umfeld. Habe ich ebenso auf einem Kongress kennengelernt, machen unglaublich tolle Projekte:
http://www.enginegroup.co.uk/